Montag, 1. September 2008

Apolitisch

bin ich, Johannas Mutter, so dermaßen, dass ich mich nicht mehr erinnern kann, wann dies anders war. In der Zeit des langsamen Untergangs der Soviet Union schmunzelte man nur hilflos, wenn man von Leonid Breznev & Co. sprach - so habe ich das aus den Kindheitserinnerungen mitgenommen. Herrn Gorbatschov hat man miterlebt und verabschiedet, über Boris Elzin erzählte man Witze, den russischen Afganistankrieg nahmen alle wie eine Flutwelle, der man nicht entkommen kann... Trotzdem hat manche politische Entscheidung mein Leben stark beeinflußt. Die Entscheidungen von H. Kohl haben es möglich gemacht, dass ich Johannas Papa kennengelernt habe. Andere Entscheidungen der Regierung Kohl haben dafür gesorgt, dass ich für mein Kind Maria nur mit Mühe und Not einen Kindergartenplatz beim Jugendamt erbetteln konnte - von den Kinderkrippen war nicht die Rede! Nun denke ich an die jetzige Situation mit den Kinderkrippen, die für mein Kind Johanna eventuell geschlossen sind...

Die Wahl in den USA wird diskutiert.
Wir erlebten während des Urlaubs eine Rede des Kandidaten Obama in Michigan: "Wenn Sie hören: Klimaveränderung, Ressoursenknappheit, Steigerung von Preisen, denken Sie an Folgendes: neue Jobs für Michigan!!!!!" (dort wird Gas geholt). Tja, na dann - es geht uns allen gut!
Der andere Kandidat benennt seine Vize: Sarah Palin, Gouverneurin von Alaska, Mutter von fünf Kindern, das jüngste kam mit DS zur Welt. Darüber haben amerikanische Mütter in den blogs schon viel diskutiert - im April 2008. Nun sagen einige, es wäre schön, "eine von uns" an der Spitze zu haben. Würde dies etwas bringen? Werden die Kinder dadurch etwa gesund? Und nicht vergessen, die Frau kommt ja nur an der zweiten Stelle, davor ist ja immer noch der Kandidat, und er hat harte Maßnahmen vor...
Trotzdem wird viel darüber berichtet.
Im deutschen Fernsehen auch.
Bei dem Aussprechen des Satzes "Ihr fünftes Kind leidet an Down Syndrom" machen deutsche Journalisten ein "entsprechendes" Gesicht, - so eins, welches an die Stellen gehört, wenn man von den Todesfällen, Massenkarambolagen, Lavinen, Abstürzen, Kindermißbrauch und anderen Tragödien berichtet.
Offensichtlich ist dies DER Gesichtsausdruck, den die Menschen aufsetzen, wenn sie auch über meine Situation reden...

Als Breznev starb, traf man mich, fröhlich und noch unwissend, auf der Straße. "Mädchen, hast du nicht gehört? Breznev ist tot! Setze dir sofort ein trauriges Gesicht auf!"
Nach einer Woche hielt das keiner mehr für nötig.
Bei mir wird es wohl lebenlang dauern...

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Das "entsprechende" Gesicht finde ich persönlich nicht mal so schlimm.

Erschreckend im Zusammenhang mit der Berichterstattung um Frau Palins Kind fand ich, den Beitrag von Spiegel Online, denn hier klang es so, als sei die Geburt eines Kindes mit Down-Syndrom etwas, was nur für erzkonservative religiöse Fundamentalisten akzeptabel sei.

Ich habe zum ersten Mal einen Leserbrief an den Spiegel geschrieben, weil mit der Tenor dieses Artikels so geärgert hat.
S. auch meinen Beitrag

Gruß
Michael