Freitag, 29. Januar 2010

Ein Artikel aus "Die Welt",

und ich muss diesen Artikel hier unbedingt kopieren und mit allen Quellenangaben platzieren, da ich möchte, dass er so in der Johannas "Lebensgeschichte" bleibt. Was aus diesen politischen Anstrengungen sein wird, werden wir erleben, aber es ist viel, viel mehr, als das, was wir uns nach Johannas Geburt je vorstellen können. Es geht plötzlich alles schnell. Das Wort "einklagen" in der Überschrift macht mir nicht viel Mut, aber ... so sind viele Dinge am Anfang...

Lesen unter:
http://www.welt.de/die-welt/politik/article6022831/Gutachten-Behinderte-koennen-sich-in-Standardschulen-einklagen.html

Gutachten: Behinderte können sich in Standardschulen einklagen

Von Robin Alexander und Kristian Frigelj
29. Januar 2010, 04:00 Uhr

Bundesländer setzten UN-Konvention nicht um
Behinderte Kinder haben ab sofort das Recht, gemeinsam mit nicht behinderten Kindern eine allgemeine Schule zu besuchen. Zu diesem Schluss mit weitreichenden Folgen für das deutsche Schulsystem kommt ein Gutachten des renommierten Mannheimer Völkerrechtlers Eibe Riedel, das gestern in Berlin vorgestellt wurde.

Hintergrund ist die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die Deutschland im Mai vergangenen Jahres unterzeichnet hat. Darin hat die Bundesrepublik das Recht behinderter Kinder anerkannt, nicht eine Sonder- oder Förderschule, sondern eine gewöhnliche Schule, eine sogenannte Regelschule, zu besuchen. Bisher wurde dieses Recht jedoch oft mit dem sogenannten Ressourcenvorbehalt verwehrt: Die Schulbehörde oder der Rektor erklärten einfach, sie könnten aus Geld- oder Stellenmangel eine angemessene Betreuung nicht gewährleisten. Dies wird künftig dem Gutachten zufolge nicht mehr möglich sein - auch wenn die für Schulpolitik zuständigen Bundesländer die UN-Konvention noch nicht in ihren Schulgesetzen umgesetzt haben: "Der Anspruch besteht auf Individualebene", so Riedel. Der Präsident des Sozialverbandes Deutschland, Adolf Bauer, der das Gutachten gemeinsam mit zwei Elterninitiativen in Auftrag gegeben hatte, kündigte an: "Mit einem Musterprozess ist zu rechnen."

Dass alle Schüler mit Behinderungen das Recht auf den Besuch einer Regelschule haben, bedeute nicht die Abschaffung aller Sonder- oder Förderschulen. Vielmehr sollten diese zu Kompetenzzentren umgebaut werden, von denen aus die Betreuung in den anderen Schulen mitorganisiert wird. "Zum Nulltarif wird das nicht gehen", erklärte Bauer. Insbesondere gelte es, Gebäude zugänglich zu machen, Organisation und Methode des Unterrichts anzupassen und geeignete Lehr- und Lernmittel anzuschaffen. Auch Schüler ohne Behinderung könnten von den Neuerungen profitieren und im Umgang mit behinderten Mitschülern lernen.

Dem Gutachten zufolge dürften Kinder schon jetzt nur noch in Ausnahmefällen gegen den Willen ihrer Eltern in eine Sonderschule eingewiesen werden. "Die Beweislast, dass der Besuch einer Regelschule nicht möglich ist, liegt beim Staat", so Riedel: "Bisher haben es sich die Behörden viel zu leicht gemacht." Aktuell werden ungefähr 70 000 Kinder eines jeden Jahrgangs in Sonderschulen eingewiesen. Diese Schule verlassen 60 Prozent ohne jeden Abschluss. Unter Experten gilt die UN-Konvention als umgesetzt, wenn 80 Prozent der behinderten Schüler in einer Regelschule unterrichtet werden. Die aktuelle Quote in Deutschland beträgt 15,7 Prozent - die geringste aller Staaten der EU.

Bei der Umsetzung der Konvention hakt es freilich überall. Zuletzt in Nordrhein-Westfalen, wo der Landtag im vergangenen Dezember nach langen Vorbereitungen einen fraktionsübergreifenden Entschließungsantrag verabschieden sollte, mit dem die schwarz-gelbe Landesregierung aufgefordert wird, zum Schuljahr 2010/2011 einen Aktionsplan zu erarbeiten. Der geplante Antragstext, der dieser Zeitung vorliegt, war behutsam formuliert: Behinderte Kinder sollten künftig vorrangig am allgemeinen Schulunterricht teilnehmen können. Doch die FDP verabschiedete sich aus dem gemeinsamen Projekt und zwang auch ihren Koalitionspartner CDU, die Resolution nicht zu verabschieden. Ausgerechnet die Liberalen warnten vor "schrankenloser Wahlfreiheit" und bemängelten vor allem einen fehlenden Bestandsschutz der Förderschulen; zudem argwöhnten sie, SPD und Grüne wollten damit durch die "Hintertür" die "Einheitsschule" einführen. Die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft "Gemeinsam leben - gemeinsam lernen" betonte jedoch gestern bei der Vorstellung des Gutachtens: "Es geht nicht um einen pädagogischen Richtungsstreit, sondern um ein Menschenrecht."

In NRW fand Schwarz-Gelb schließlich nur eine gemeinsame Sprachregelung, um keine offene Flanke für den heraufziehenden Landtagswahlkampf zu bieten: Ein grundsätzliches Wahlrecht für Eltern behinderter Kinder soll gewährt und auch die Förderschulen erhalten bleiben. NRW-Schulministerin Barbara Sommer (CDU) traf sich am vergangenen Montag zu einem Gespräch mit den Landtagsfraktionen, kommunalen Spitzenverbänden, Kirchen, Eltern und Lehrern. Danach erklärte sie, es sei "ihre Absicht, das gemeinsame Lernen von Kindern und Jugendlichen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf deutlich auszuweiten". Der Sozialverband urteilt jedoch über NRW knapp: "Politischer Wille nicht erkennbar."

Die Umsetzung der UN-Konvention wurde jedoch parteiübergreifend zögerlich angegangen. "Auf gutem Weg" sieht der Sozialverband lediglich Schleswig-Holstein (Schwarz-Gelb regiert) und Bremen (Rot-Grün). "Erste Schritte" seien noch in Hamburg (Schwarz-Grün) und Rheinland-Pfalz (SPD-Alleinregierung) zu erkennen. Auch der Behindertenbeauftragte der Bundsregierung, Hubert Hüppe, kritisiert: "Das Gutachten stellt klar, dass es nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie eines gemeinsamen Unterrichts von behinderten und nicht behinderten Kindern geht - nicht in ferner Zukunft, sondern jetzt."

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http://www.welt.de/die-welt/politik/article6022831/Gutachten-Behinderte-koennen-sich-in-Standardschulen-einklagen.html

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